Ein Schiff ist ein Schiff ist ein Schiff
In der evangelischen Nikolaikirche auf Wangerooge hängt ein Modellschiff, das in diesem Jahr 100 Jahre alt wird. Auf den ersten Blick wirkt die Sache eindeutig und nicht weiter ungewöhnlich: Das Schiff ist – wie in vielen Kirchen in Küstenregionen – ein Symbol dafür, dass hier Seefahrt eine wichtige Rolle spielt(e). Nimmt man sich jedoch Zeit für einen zweiten und dritten Blick auf das Modellschiff und seine nunmehr 100jährige Geschichte, blättern sich schnell unterschiedlichste Facetten und teils widersprüchliche Bedeutungen auf. Mit dem interaktiven Kunstprojekt Ein Schiff ist ein Schiff ist ein Schiff beleuchten wir in Kooperation mit der evangelischen Nikolai-Kirchengemeinde Wangerooge die Ora Et Labora aus verschiedenen Perspektiven und laden dazu ein, dieses alte Objekt im Rahmen eines lichtschattenwasserhörspiels (ganz neu) zu entdecken.
Ein Schiff ist ein Schiff. Ist ein Schiff?
Auf dem Bug des Modellschiffs prangt der Name Ora Et Labora, der laut Kirchenchronik an das Unglück eines gleichnamigen holländischen Frachtenseglers auf der Mellumplate im Jahr 1909 erinnern soll – doch gleicht der imposante Dreimaster in der Kirche der verunglückten schlichten holländischen Tjalk nicht im Geringsten. Vielmehr ähnelt er dem Segelschiff, auf dem sein Erbauer vor seiner Tätigkeit als Wangerooger Leuchtturmwärter selbst als Matrose zur See fuhr. In der Kirchenchronik der Inselgemeinde von 1924 finden sich Aufzeichnungen zu Geldsammlungen, um die Kosten des Schiffs zu decken. In den 1990er Jahren ist im Rahmen der Restaurierung der Ora Et Labora wiederum die Rede von einem Votivschiff – also einer Gabe aus Dankbarkeit für erfahrene göttliche Bewahrung auf See und damit einer Schenkung.
Das Objekt im Kirchenraum ist somit mehr als nur ein Schiff: In ihm überlagern sich die Betrachtung als Gedenkschiff, Modellschiff, Votivschiff sowie als Symbol für eine eng mit dem Leben und Arbeiten auf See verbundene Biografie. Mit dieser Vieldeutigkeit setzt sich das lichtschattenwasserhörspiel auseinander und macht sie mit mehreren Sinnen erfahrbar.
Ein Spiel mit Licht, Schatten und Wasserprojektionen
In der Kirche eröffnet eine Lichtinstallation ungewöhnliche Perspektiven auf das Schiff, das man normalerweise nur von schräg unten – quasi aus der ,Fischperspektive‘ – betrachten kann: In der Vergrößerung seines Schattens werden Details erkennbar, die dem Blick sonst verborgen bleiben. Schlaglichter auf einzelne Teile des Schiffs zerlegen es in separate Schattenbilder, die sich wie seine Bedeutungen vervielfachen und überlagern können. Während die teils farbigen Schiffsschatten über die weißen Wände, Decken und die bunten Fenster wandern, treten sie in einen Dialog mit architektonischen Elementen des Kirchenraums. Und auch den Besucher*innen kommt die Ora Et Labora so ganz nah, werden doch die Körper im Raum ebenfalls zu Projektionsflächen für die Schiffsschatten. Schließlich taucht die Installation das in der Luft schwebende Schiff mit Lichtprojektionen von bewegtem Wasser in sein ursprüngliches Element – und den ganzen Raum in eine faszinierende Klangatmosphäre von durch Luft bewegtem Wasser.
Eine interaktive Hörreise über die Insel
Das Projekt lädt zudem dazu ein, auf eine Faltboot-Tour über die Insel zu gehen. Faltet man den Veranstaltungsflyer zu einem Papierschiff, verwandelt er sich in den Schlüssel zu drei Erzählungen, die sich um die Ora Et Labora ranken: An Hör-Boxen am Westturm, am Uhrturm an der Promenade sowie auf der Aussichtsplattform im Osten kann man das eigene Faltschiff auf ein leuchtendes Schiff setzen und so die jeweilige Geschichte rund um die Ora Et Labora starten. Legt man in der Nikolaikirche mit dem Faltschiff, mit dem man Erzählungen gesammelt hat, an einem weiteren leuchtenden Schiff an, kann man schließlich die Installation im Kirchenraum beeinflussen: Denn das Spiel mit Licht, Schatten und Wasser in der Kirche reagiert darauf und verändert sich – je nachdem, mit wie vielen und welchen Geschichten das eigene Papierschiff bereits ,beladen‘ ist.
Ein Schiff ist ein Schiff ist ein Schiff ist ein Kooperationsprojekt des Duos scheinzeitmenschen und der ev. Nikolai-Kirchengemeinde Wangerooge. Es ist Teil der Festwochen rund um das 100-jährige Bestehen des Modellschiffs Ora Et Labora, während der sich weitere Veranstaltungen in der Nikolaikirche Wangerooge dem Leben und Arbeiten sowie den Gefahren und der Rettung auf See widmen.
Künstlerisches Konzept & Umsetzung: scheinzeitmenschen – Birk-André Hildebrandt & Valeska Klug
Gesprächspartner: Uwe Heiburg; Michael Ippich
Sprecherin Hörstücke: Katharina Guleikoff
Konstruktion Hörboxen: Heimo Lieson
Unterstützung Aufbau Hörboxen: Marcus Schmehl; Wolfgang Schlechta
Fotos: Andreas Brede, Luise Pahl/ELKiO, Sven Neidig, Katharina Borris
Plakatdesign: Ulrike Weidlich
Verpflegung: Bäckerei Janssen/ Oldenburg; Imke & Jonna Hanken; Regine Mai
Faltbootdesign und Programm Festwochen: Jan Janssen
Wir danken herzlich für die vielfältige und großartige Unterstützung, die das Projekt ermöglicht hat: Wangerooger Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen in Kirchengemeinde, Kurverwaltung sowie DB-Werkstatt, Nationalpark und Mellumrat, Katja Garbe, Larissa Fichtner, Familie Jürgens, Hanna Beneker und Jochen Detering, Birgit Carmona Schneider sowie den hier nicht namentlich genannten, aber großzügigen privaten Spender*innen.
Das Projekt wird gefördert von der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg, der Volksbank Jever eG sowie mehreren privaten Spender*innen. Die Gestaltung der Lichtinstallation baut auf die #TakeHeartResidenz „Wasser, Bewegung, Transformation“ des Fonds Darstellende Künste auf, in deren Rahmen wir 2022 in Kooperation mit PACT Zollverein rund um das Material Wasser recherchiert haben.