Choreografie für Nebel und Objekte
Nebel ist ein Material mit vielen Gesichtern: Seine gegensätzlichen Qualitäten der Fülle und Flüchtigkeit können Räume innerhalb von Sekunden verändern – sie undurchdringbar oder unendlich erscheinen lassen. Seine Bewegung im Raum kann zwischen Schwere und Leichtigkeit, zwischen explosionsartiger Schnelle und kriechender Langsamkeit schwanken. Seine Anwesenheit im Raum vermag die Sinne zu vernebeln wie zu schärfen, Dinge zu verbergen oder gerade eine Fläche bieten, auf der sich Platz für gedankliche wie tatsächliche Projektionen öffnet und Dinge erscheinen können. Wenn man so will, macht Nebel eine Erweiterung des Sehens durch seine zeitweilige Einschränkung erlebbar.
In unserer Beschäftigung mit Nebel loten wir aus, wie dieses körperlose und zugleich vielgestaltige Material geformt und in feste Bewegungsabläufe gebracht werden kann. Dabei reicht die Auseinandersetzung von den Eigenschaften verschiedener Nebelarten über deren Verhältnis zur Umgebung bis hin zu ihrer Kombination mit anderen Materialien: Wie verändert Nebel die Lichtverhältnisse oder Akustik in einem Raum, wie bewegt er sich, wie sieht er aus und fühlt sich an? Welche Rolle spielen Temperatur, Luftfeuchtigkeit oder Luftdruck für künstlich erzeugte Nebelereignisse und ihre Reproduzierbarkeit? Welche Impulse nimmt Nebel auf, wie spielt er beispielsweise mit Wolle oder Glas, Rohren oder Schläuchen zusammen? Und wie bringt man einem Material, das nicht greifbar, das nicht mehr als ein sichtbarer Hauch ist und im Moment der Betrachtung bereits zu verschwinden droht, das Tanzen bei?
Die Choreografie für Nebel und Objekte zeigt Ausschnitte aus einem intensiven Materialforschungsprozess und übersetzt Erkenntnisse daraus in Bilder und Szenen. Sie rückt den Nebel ins Zentrum, schafft Räume, die für ihn gemacht sind, und stellt ihm weitere Materialien und Objekte zur Seite: Hier trifft Nebel auf Glasscheiben als Fläche, auf der er rasend bewegte Bilder zeichnet und kondensierend Spuren seiner Materialität hinterlässt. Dort verfängt er sich in einer Wollwiese, die den Nebel so beschwert, dass er nur langsam und in Schlieren zwischen den Fasern hindurch kriechen kann. Er presst sich durch Schläuche, die ihn verdichten, sodass er, anstatt sich zu verziehen und zu verflüchtigen, schwer und wabernd wie ein Meer in Lautsprechern liegenbleibt – bis die Schallwellen der Membranen ihn lehren Wellen zu schlagen, sich aufzubäumen, in sich zusammen zu sinken und zu zerfließen. Er legt sich wie ein zweiter, kühler Boden über die Erde, breitet sich vorsichtig tastend aus und heftet sich sogleich an den Luftzug von Rotorblättern, die ihn anziehen oder abstoßen, ihn Pirouetten drehen lassen und verwirbeln. Die Räume und Landschaften, die dabei entstehen, landen zum Durchschreiten, Eintauchen und Assoziieren ein.
Wir freuen uns über: DIE AKTUELLE KRITIK von Honke Rambow
Premiere am 30. Juli 2021 in den Rottstr5-Kunsthallen Bochum. Eingeladen zum internationalen Festival Theater der Dinge 2021 in Berlin und den Lichtspielen Goldstücke in Gelsenkirchen.
Künstlerisches Konzept und Umsetzung
scheinzeitmenschen – Birk-André Hildebrandt & Valeska Klug
Produktionsleitung Helene Ewert
Produktionsassistenz Simone Spelten
Stimmaufnahmen Philipp Blömeke/wardrobe voices
Cellospiel Tobias Sicken
Grafikdesign Ulrike Weidlich
Fotos Sven Neidig
Videodokumentation Sebastian Behler/BELAIRmedien
Mit sehr freundlicher Unterstützung von FILATI und dem Wollhaus Herdecke.
Das Projekt wird gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, dem Deutschen Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst e.V., dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW und der Stadt Bochum. Das Projekt wurde im Rahmen des FIDENA Residenz-Programms 2020 verwirklicht. Die Vorrecherche wurde ermöglicht durch ein Recherchestipendium des Kulturbüros Bochum.