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12 acts of unboxing

Das Phänomen des ,Unboxing' ist aus dem Internet nicht mehr wegzudenken: Tausende Youtuber*innen zelebrieren das Auspacken neu gekaufter Produkte vor der Kamera und versuchen so, Materialität, Desing, Funktion und Haptik der Gegenstände auch aus der Ferne zu vermitteln.
Auch 12 acts of unboxing (vernetztes Objekttheater und interaktive Installationen) lädt dazu ein, Objekte auszupacken, mit ihnen zu spielen, sie auszuprobieren, sich mit ihrer Beschaffenheit und (un-)möglichen Funktionen zu befassen. Diese Objekte sind allerdings keine Massenprodukte, nicht käuflich erworben und gehören eigentlich nicht in eine Kunsthalle: Es sind 12 Gegenstände aus dem Alltag von Bochumer Orten – für kurze Zeit herausgelöst aus ihrem Kontext. Wir setzen sie in Szene und errichten im Tausch dafür am Ort ihrer jeweiligen Herkunft eine ortsspezifische Installation, die auf das reagiert, was weit entfernt in der Performance mit ihrem Objekt geschieht.

Die Orte
Im Rahmen dieser Arbeit haben wir mit neun Bochumer Orten kooperiert, die nicht (primär) Kunstorte sind: Der Afterworkfriseur Gehts noch?!, die Autobahnkirche RUHR, die Bunker Bude, das Hallenfreibad Linden, das Martin-Luther-Krankenhaus in Wattenscheid, die Musikschule Bochum, ein Schrebergarten im Kleingärtnerverein Flora e.V. 1948 in Langendreer,  Tierpark + Fossilium Bochum sowie die Universitätsbibliothek der Ruhr-Universität Bochum haben am Projekt teilgenommen und uns Objekte aus ihrem aktuellen und früheren Alltag übergeben.

Die Objekte
Die Objekte, die wir auf diese Weise erhalten haben, hätten unterschiedlicher und spannender kaum sein können: von einer Orgelpfeife bis zur Süßwarenbox, von der Hüftgelenksprothese bis zur Schlangenhaut, vom Waldhorn bis zum Barcodescanner. In der Auseinandersetzung mit den Gegenständen, mit ihrem Material, ihrer Funktionalität haben wir für jeden Ort eine Installation entworfen, die – mit dem Internet verbunden – ankommende Impulse zum Beispiel in Bewegung, Klang oder Licht übersetzen und darauf reagieren kann.

Die Installationen
Die Installationen setzten sich auch außerhalb der Aufführungszeiten in einem ,Atemmodus' regelmäßig in Gang und verwandelten Personen, die sich an den Orten aufhielten, in Zufallspublikum. So begann die Fassade der Musikschule zu atmen, in der Cafeteria des Hallenfreibades wälzte sich verschiedenfarbiges Wasser durch ein Schlauchsystem, in der Autobahnkirche schwebten Glühbirnen um die Kanzel, in der Universitätsbobliothek tropfte es aus 22m von der Decke in einen Zettelkasten im Erdgeschoss und unter dem Vordach des Martin-Luther-Krankenhauses vollführten Gelenklampen eine Choreographie. Über die Installation Rohr//Spatz im Kleingartenverein Flora 1948 ist ein Beitrag von Gabi Hinderberger erschienen.

Die Performance
Die Performance (Premiere in den Rottstr5-Kunsthallen) setzt schließlich die Objekte in Szene und verknüpft sie wieder mit ihren Herkunftsorten und den dortigen Installationen. Während der Aufführungen ist das Publikum eingeladen, ein Objekt nach dem anderen aus weißen Boxen auszupacken, zu betrachten, zu testen, zu bespielen. Der Raum reagiert, über Sensoren vermittelt, auf das, was mit den Objekten geschieht – es leuchtet auf, Fetzen der Geräuschkulisse an den Orten und Nebel breiten sich aus, Dinge bewegen sich... Zugleich generieren die Aktivitäten Impulse, die an die Orte gesendet werden, von denen das jeweilige Objekt stammt. So wird bei den Aufführungen an digitalen Fäden gezogen, die überall in der Stadt Installationen auslösen, die zusammen mit der Performance ein vernetztes Kunstwerk bilden.
Dabei wird bewusst auf eine Live-Übertragung der Geschehnisse an den verschiedenen miteinander vernetzten Orten verzichtet, denn auch in unserem Alltag generieren wir – oft ohne es zu wissen – große Mengen von Daten und lösen damit Reaktionen aus, die meist weder sichtbar noch überchaubar sind. 12 acts of unboxing lädt somit zu einem Experiment mit der Atmosphäre von Räumen, sinnlicher Wahrnehmung und Datenströmen ein und übersetzt digitale Vernetzungsstrategien in eine künstlerische Anordnung, um die zunehmenden und oft verborgenen Vernetzungsprozesse für das Publikum konkret erlebbar, sinnlich erfahrbar und so befragbar zu machen.

Die Dokumentation
Die Videodokumentation von 12 acts of unboxing war zum 27. blicke filmfestival des ruhrgebiets eingeladen und wurde dort als Dauerinstallation im Kinofoyer gezeigt. Auf einem Turm aus Monitoren eröffnet die filmische Dokumentation eine neue Perspektive. Denn sie gibt – im Unterschied zu den Aufführungen – die Möglichkeit, gleichzeitig das Geschehen während der Performances und die Aktivität der Installationen zu betrachten.


Künstlerisches Konzept und Umsetzung: scheinzeitmenschen
Performance: Pia Alena Wagner
Sounddesign: Philipp Blömeke
Fotos: Sven Neidig
Video: Sebastian Behler / BELAIRmedien

         

             

Wir danken der Bio-Bäckerei Hutzel & der Buchbinderei Beckmann für die  freundliche Unterstützung!